Jimmy Petterson

  • Rettet Cassons
  • The Skier and Snowboarder Magazine

von Jimmy Petterson

Rettet Cassons!

Der amerikanische Journalist und Fotograf Jimmy Petterson, Autor des Buches 'Skiing around the world', besuchte im März 2010 die Weisse Arena und schildert in diesem Beitrag seine ganz besonderen Erlebnisse mit Cassons.

Flims hat als Skigebiet eine lange Tradition. Hier wurde 1931 die erste Schweizer Skischule gegründet, und 1945 entstand in Flims der erste kuppelbare Sessellift. Unter den gegenwärtig 28 Beförderungsanlagen gibt es eine kleine Kabinenbahn, die aus früheren Zeiten stammt: Die Cassons-Bahn, gebaut im Jahr 1956, die zum Cassonsgrat (2765 m) hinauf führt.

In den letzten Jahren wurden an den umliegenden Hängen zahlreiche Transportanlagen gebaut. Viele dieser modernen Bahnen erschliessen die Hänge viel einfacher als die alte Cassons-Kabinenbahn. Das Zentrum des Skigebiets hat sich im Laufe der Jahre in westliche Richtung, gegen Laax zu, verschoben. Dadurch verlor Cassons an Beachtung, und die früheren Abfahrten, schwarz und rot, wurden nicht mehr gepflegt; nur noch eine kleine Zahl von Freeridern benützt den Cassonshang.

Erster Anlauf

Im letzten März erreichte ich Flims mit meinem Freund Klaus Arpia an einem warmen, sonnigen Tag. Wir wussten nichts über das Skigebiet und nichts über die Cassons-Bahn und ihre Geschichte; aber wir wurden irgendwie von diesem Teil der Weissen Arena angezogen. Nach einigen wunderbaren Abfahren von der Siala aus wollten wir am Nachmittag noch nach dem Cassonsgrat hinauf, obschon der Schnee auf der Südseite gewiss schon weich war.

Um zur alten Cassons-Bahn zu gelangen, mussten wir zuerst mit zwei Sesselliften von Flims aus nach Foppa (1420 m) und dann nach Naraus (1842 m) fahren. Es war ein prächtiger Tag, richtig frühlingshaft. Wir waren in diesem Teil der Weissen Arena fast allein unterwegs. In Naraus setzten wir uns vor ein altes Holzhaus und genossen die Sonne. Nach einem kleinen Picknick wollten wir nun auf den Cassonsgrat hinauf fahren. Aber die Bahn war wegen starken Winden geschlossen - wir spürten allerdings nicht das leiseste Lüftchen. Wollte wohl der Liftwart ebenfalls den frühlingshaften Nachmittag geniessen?

Zweiter Anlauf

Zwei Tage später, an einem weiteren wunderbaren Morgen, kehrten Klaus und ich zur Cassonsbahn zurück, aber zu einer für einen Südhang günstigeren Tageszeit. Dieses Mal war die Bahn in Betrieb. Die Kabinen gehören zu den kleinsten, welche irgendwo auf der Welt noch fahren; aber selbst die Kapazität von 27 Personen scheint zu gross zu sein. Obschon der Lift-Begleiter zuwartete, um die Kabine zu füllen, nützte das wenig. Nach 15 Minuten begann dann die Fahrt mit einigen Ausflüglern sowie mit fünf anderen Skifahrern.

In der Kabine begann ich beiläufig ein Gespräch mit einem der Ausflügler, einem älteren Herrn. Ich neckte ihn mit der Frage, ob die Schweizer zu knapp an Geld seien, um neue Lifte zu bauen. Der Gast entgegnete, dass einige der Bahnen gerade wegen ihres Alters eine historische Bedeutung hätten, und dass die, mit der wir gerade unterwegs seien, eine davon sei. Deswegen gehöre sie zu Flims, genau so wie die protestantische Kirche aus dem 14. Jahrhundert oder der spektakuläre Kalkstein-Monolith, auf den wir gerade hinauf fuhren.

'Der Cassonsgrat ist ein wunderbarer Aussichtspunkt - im Winter und im Sommer -, und der Cassonshang ist auch ein gutes Skigebiet.' Dann rief er plötzlich: 'Schau, ein Steinbock!' Auf einem schmalen Felsband stand ein älteres Männchen mit seinem charakteristischen Gehörn. Nach über dreissig Jahren in den Alpen sah ich hier dieses majestätische Tier zum ersten Mal!
Mein Begleiter fuhr weiter mit seiner Erzählung über die Cassons-Bahn: 'Unglücklicherweise soll dieses wunderschöne Stück Geschichte im Jahr 2011 zum letzten Mal fahren. Die strengen Sicherheitsbestimmungen verlangen mindestens ein neues Seil. Die 'Weisse Arena AG' ist angesichts der geringen Frequenz nicht bereit, die Kosten dafür zu tragen.'

Natürlich, Cassons weist keine einzige präparierte Piste auf und wurde zum Freerider-Gebiet deklassiert, und obschon diese Sportart derzeit sehr beliebt ist, fehlt es der Bahn an Fahrgästen.

Ich bin sowohl Freerider als auch promovierter Historiker. Deshalb beklagte ich mich über die kalte Profitgier, die über alle Gefühle und auch über alle geschichtlichen Werte hinweg sieht. Weshalb können die Manager nicht das Ganze sehen? Sie erarbeiten mit der ganzen Weissen Arena gewiss genug Geld, um ein unrentables, aber historisch wertvolles Relikt zu erhalten, das immerhin einer ganzen Anzahl von Leuten Freude bereitet.

"Ja, Sie haben Recht," meinte mein Gesprächspartner. "Und es gibt Leute, die so fühlen und denken wie Sie. Das ist die Gruppe Pro Flims-Cassons mit über 2000 Mitgliedern, welche sich bemüht, die Bahn auch für spätere Generationen zu erhalten."

Die Rückseite des Berges

Oben angekommen, bemerkte der Herr, dass es ausser den Abfahrten auf der Sonnenseite des Flimsersteins auch eine Skiroute auf der Rückseite des Berges gebe. Einer der mit uns hochgefahrenen Skifahrer schien mir - der Sprache und der Ausrüstung nach zu schliessen - ein einheimischer Freerider zu sein. Ich musste ihn einfach fragen, ob er diese hintere Route kenne. Roman Dörig kannte sie und war bereit, uns hinunter zum Berghaus Bargis zu führen! Welcher Zufall, in der kleinen Gruppe von Gästen, welche mit uns fuhren, einen Mann zu finden, welcher bereit war, uns seine Heimat zu zeigen. Roman ist Schreiner und Koch, hauptsächlich aber Freerider.

Als wir bereit waren, starteten wir von der höchsten Stelle des Cassonsgrates aus. Zunächst ging es einen Rücken entlang, wo wir vorsichtig die Schneeverwehungen umfuhren. Nur eine einzige Skispur führte abwärts. Die Nordseite des Flimsersteins erinnerte mich mit ihren Felstürmen an die Dolomiten.

Roman und Klaus stiessen nun steil die Hänge hinunter, während ich eine beschaulichere Route wählte. Wir fuhren jeder für sich, fanden Gefallen daran, unsere Schwünge zu ziehen, dann wieder Schussfahrten anzuschliessen. Nach den weiten Hängen des oberen Teils folgte eine Reihe von langen, steilen Couloirs, mit Rücken abwechselnd . Das zwang uns zu mehr Disziplin und Präzision. Nach den engen Passagen war das wunderbare freie Skifahren zu Ende; denn nun ging es auf einer gewundenen Bergstrasse das Tal hinaus, an gewaltigen Felsblöcken vorbei. Im Schlittschuhschritt nutzten wir im Talboden die präparierte Langlaufpiste, bis wir die Sonnenterrasse des Berghauses Bargis erreichten.

Capuns in Bargis

Dort genossen wir einige Glas kühles Bier und eine grosse Portion Capuns. Während des Mahles erzählte Roman etwas mehr über den Verein, welcher hofft, die Cassons-Bahn retten zu können. Zu dessen Freude hat der Gemeinderat von Flims beschlossen, der Weissen Arena AG mit einem Zuschuss von Fr.100'000.- zu helfen, die finanzielle Belastung bis zum Ende der Sommersaison 2011 zu tragen. Was nachher geschieht, steht noch nicht einmal in den Sternen geschrieben.

Der Verein Pro Flims-Cassons hofft, die Infrastruktur der Bahn zu verbessern, um mehr Leute in die Gegend zu bringen und um so einen Profit zu erwirtschaften. Notfalls würde er die Bahn kaufen. Roman brauchte nicht mehr zu sagen. Unsere Erfahrungen am Berg sprachen Bände.

Ein Bus verbindet das abgelegene Restaurant Bargis mit Flims. Wir fuhren zurück; es blieb noch Zeit genug zum Skifahren. Aber alles schien fade im Vergleich zu unserem Morgen mit Roman. Klaus und ich fuhren ins Hotel, um in der Sauna den Tag nochmals vor unseren Augen vorbeiziehen zu lassen.

Wir fuhren eine Woche lang Ski in Flims, Laax und Falera, benützten alle Lifte, machten alle Abfahrten. Wir fuhren so oft als möglich ausserhalb der Pisten. Wir genossen den Pulverschnee auf dem Gletscher, die Freeriding-Routen von Siala und die grossartigen Möglichkeiten auf dem Weg vom Gletscher hinunter zur Alp Ruschein. Aber während unseres Aufenthalts gab es nichts, das grossartiger gewesen wäre als die einzige Abfahrt vom Cassonsgrat hinunter ins Tal mit dem gemütlichen Essen auf der Terrasse des Berghauses Bargis.

Am Ende unseres Aufenthaltes hatte der Verein 'Pro Flims-Cassons' zwei neue Freunde gefunden. Ich schreibe diesen Bericht in der Hoffnung, damit meinen kleinen Teil beitragen zu können, um die Spuren einer früheren Zeit für die nächsten Generationen erhalten zu können.

Jimmy Petterson
(Text und Fotos)

Jimmy Petterson, Journalist und Fotograf, ist Autor des Buches "Skiing around the world" und Hauptfigur in der Fernseh-Serie "Raider of the lost snow". Er hat Skiorte in 52 Ländern besucht; Flims ist die 450. Station.
Adresse des Autors und Fotografen:
Jimmy Petterson
Sjöstigen 3, 43136 Mölndal, Schweden,
skibum@telia.com, www.skiingaroundtheworld.net
Übersetzung aus dem Englischen: Heinz Baumberger, Flims

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